Das Leben ist eine Brücke
Diese Wahrheit ist mir nachhaltig hängen geblieben.
Offenbart wurde sie mir von einem Schweizer Kursteilnehmer, der, aus der Französischen Schweiz stammend, ihn langsam, mit leicht schwerem Schweizer Akzent, Mitte der Neunziger Jahre in der Cafeteria des Münchner Goethe Instituts zum Besten gab.
Als unsere Vorfahren sich aufmachten, den Erdball zu durchstreifen und Handel zu treiben, kamen sie irgendwann nicht mehr drum herum, Brücken zu bauen. Dafür mussten sie die Bodenbeschaffenheit untersuchen und diese bei Eignung als standfeste Unterlage zum Ausgangspunkt machen, um das andere Ufer ebenfalls sicher zu erreichen. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist das Verhältnis zwischen Stabilität und Flexibilität, zwischen Festigkeit und Schwingung. Sonst droht dieser wichtige Übergang irgendwann einzustürzen. Eine Brücke ist normalerweise von beiden Seiten zugänglich. Sie soll den Durchstrom befördern, ein Kommen und Gehen möglichst ohne Stau und Einbahnstraßenausrichtung.
Vom Standpunkt des Einzelnen aus betrachtet ist das Leben eine Zugbrücke. Eine Zugbrücke hat als Voraussetzung, dass der Standort, d.h. der Burgherr auf seiner Burg, entscheidet, ob die Brücke runter gelassen wird, also die Besucher eingelassen werden, oder ob sie hochgezogen wird. In gewissem Sinne könnte man uns Menschen als einzelne Burgbewohner mit Zugbrücken definieren, die wir permanent hochziehen und runterlassen. Aus eigenem Antrieb oder auf Druck äußerer Umstände. Und oft aus nicht ausreichend hinterfragten Gründen, sei es im Monolog oder Dialog.
Unsere Zugbrückenkompetenz ist bis zum Tod ein laufender Lern- oder Delegierungsprozess, der gut oder schlecht laufen kann. Denn unser menschliches Dasein ist fragil. Wie schnell kann es uns unversehens schlecht gehen, fühlen wir uns missverstanden, und damit nicht integriert. Und daraus entstehen wieder unvorhergesehene Schwierigkeiten, für uns selbst und/oder für die Anderen. Sei es innerhalb der eigenen Familie, des eigenen Freundeskreises, der eigenen Partnerschaft oder der eigenen Gesellschaft. Das erste Zugbrückengesetz lautet: Jeder ist sich selbst der Nächste. Das zweite: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Ich zähle mich zur Kriegsenkelgeneration, zu deren Merkmalen es gehört, dass zwischen Eltern und Kindern sich mitunter ein tiefer Graben ohne Brücke auftut. Trotz bildungsbürgerlichen Hintergrunds und gemeinsamer Muttersprache. Diesen mir lange unerklärbaren Bruch, der auch mit lebhafter Artikulation meinerseits nicht überbrückt werden konnte, wurde mir erst einigermaßen verständlich, nachdem ich Bücher von Sabine Bode und anderen Autoren zu diesem Thema gelesen hatte. Auch beruflich geradlinige und stabile Brückenschlaege sind mir nicht so gelungen, dass ich mich beruflich langfristig irgendwo angekommen fühlte und so landete ich vor über 20 Jahren in dem interkulturellen Bereich Deutsch als Fremdsprache. Die eigene Muttersprache zu unterrichten, den dabei nötigen Abstand und das erforderliche psychologische und kulturelle Verständnis für die Kursteilnehmer zu entwickeln, bringt dabei einen gewissen Einblick in Facetten und Anforderungen unserer eigenen Gesellschaft und der multikulturellen Gesellschaften, sich in nationalen Kleidern nach außen zeigend, hinter denen Integration als das Zauberwort propagiert wird mit der Illusion, diese bürokratisch verordnen zu können.
Das heißt meist als Forderung, sich in Sprache und Mentalität auch an die Nation anzupassen, in der man lebt. Die deutsche Regierung hat daraus den behäbig-schweren Begriff Leitkultur gebildet. Als ob das Leben eine Einbahnstraße oder Zugbrücke wäre, in diesem Fall hin auf die Burg Deutschland. Auf die sich die Zuziehenden so einzufädeln haben, dass dann angeblich keine großen Probleme für alle Beteiligten entstehen.
Harald Martenstein kommentierte einige dieser Punkte vor kurzem im Zeitmagazin. Lakonisch stellt er fest, dass der Leistungsgedanke im Sinne einer angeordneten Fremdbestimmung auch bei vielen Deutschen nicht nachweislich existiert (stimmt, bei mir auch nicht!) und Toleranz und Freundlichkeit auf Gegenseitigkeit beruhen sollten.
Zu diesem Punkt passt bestens mein bizarres Erlebnis letzten Sommer im Strandbad Wannsee. Das ich aus meiner Perspektive betiteln könnte mit „Wie man besser nicht den Bock zum Gärtner macht.“
Ich lag im FKK Bereich und hatte meine Bikinihose an. Kamen doch zwei in schwere blaue Pullover und lange Hosen bekleidete Aufpasser, offensichtlich und hörbar Migranten, ein Mann und eine Frau, auf mich zu, und forderten mich auf, meine Bikinihose auszuziehen. Als ob sie es geradewegs auf mich abgesehen hätten! Denn rundrum gab es weitere FKK Nutzer, die liegend oder stehend ebenfalls eine Teilbekleidung trugen. Die wurden seltsamerweise von diesen Aufpassern nicht angesprochen. Ich wies sie darauf hin, sie blieben hartnäckig. Vor mir erhob sich kurz darauf eine Nackerte mit deutlich hörbarem Berliner Zungenschlag, zog sich vorher noch komplett das blickdichte Badetuch um ihren massigen Körper, stand auf, gesellte sich zu den Aufpassern und begann ebenfalls, negativ über mich zu sprechen. Nach dem Motto, ich würde mit meiner halben Nacktheit die Regeln des FKK Bereichs nicht befolgen und damit alle Anwesenden provozieren. Die Diskussion zurrte sich durch Unnachgiebigkeit aller Beteiligten fest, es klinkten sich schließlich meine links und rechts nackt daliegenden braun gebrannten männlichen verständnisvollen Nachbarn ein, die darauf hinwiesen, dass ich ja auch meine Tage haben könnte und vielleicht deshalb die Bikinihose tragen würde. Das Ganze bekam immer mehr einen kabarettistischen Anstrich. Bei jenem ersten Mal tauchte die Rettung in Person des Bademeisters auf, der den zugespitzten Konflikt in meinem Sinne löste. Dass hier tatsächlich kein Zwang bestehe, durchgehend nackt zu liegen und zu baden. In dieser Annahme bestärkt, besuchte ich ein weiteres Mal den Nacktbadestrand des Strandbad Wannsees und lag nach dem Schwimmen mit meiner Bikinihose da, als just wiederum zwei gänzlich bekleidete Aufseher mit Migrationshintergrund auf mich zusteuerten. Und dieses Mal war kein Bademeister mehr als klärende Instanz da! Der Gedanke tut sich natürlich auf, ob diese wahrscheinlich der Freikörperkultur sowieso ablehnend Eingestellten wirklich die Richtigen für diesen Job sind und sie sich einen Sport daraus machen, westliche Frauen zu zwingen sich zu entblößen. Und ich gleichzeitig nicht umhin komme zu bemerken, dass gerade auch einheimische Frauen sich nicht entblöden, diesen ungerecht-gezielten Angriff der „Fremdaufseher“ auf eine allein liegende Frau zu unterstützen. Die Tatsache, von beiden Seiten angeschossen zu werden, zeigt jedenfalls, dass Integration kein leichtes Thema ist. Auch nicht für Einheimische im Kontakt mit Einheimischen!
Leben besteht letztlich aus konkreten Begegnungen mit so genannten In- und Ausländern. Und diese Begegnungen bergen oft einen Überraschungsmoment. Destruktiv, neutral oder konstruktiv. Wie bei einem chemischen Experiment. Im besten Fall entsteht etwas erfreuliches Drittes, wie Wasser aus Kohlenstoff und Sauerstoff. Das lateinische Wort integrare bedeutet wiederherstellen und ergänzen. Das ist für mich als Sprachinteressierte schon mal ein hilfreicher Hinweis. Im Sinne, dass Integration auf eine Wiederherstellung, aber auch auf Ergänzung verweist. Und man jeweils genau fragen sollte, was man wiederherstellen will, was man ja nur kann und will, wenn etwas zwischenzeitlich verloren gegangen war. Auch das gilt es dann zu klären und zu formulieren.
Ich will als Frau jedenfalls wie manch andere Männer und Frauen auch in der FKK Abteilung bisweilen eine Badehose oder ein Oberteil tragen dürfen, ohne dass mich durchgehend bekleidete, schlecht deutsch sprechende Zugezogene auffordern, mich nackt auszuziehen.
Leben ist wie Integration nicht planbar. Allenfalls steigt mit dem großen Zuzug von Flüchtlingen in den letzten Jahren der Druck auf Fragen, die schon vorher existierten, aber nicht entschieden und ehrlich genug diskutiert, geschweige denn wirklich zufriedenstellend gelöst wurden:
Inwiefern ist Integration ein zutiefst menschliches Bedürfnis von uns allen und hat daher viele unvorhersehbare Richtungen, Chancen und Risiken, denen wir nur mit ausreichend innerer Stärke und fairen Hilfestellungen gewachsen sein können? Wir alle haben Talente und Sehnsüchte, die wir einerseits durch gesundes Selbstbewusstsein, andererseits durch entsprechende Wahrnehmung unserer Umgebung verwirklichen können. Wie können wir diese Stärke, dieses gesunde Selbstbewusstsein, die kein gegen Andere gerichteter plumper Egoismus ist, wieder gewinnen, die so genannte arete bei den alten Griechen oder virtus bei den Römern?
Inwiefern betrifft Integration uns in ihrer Komplexität schon längst als (noch) Nichtmigranten, weil wir unübersehbar in einer globalen Gesellschaft angekommen sind, die oft nach hintergründigen Spielregeln funktioniert, die kein Politiker ungeachtet seiner Wahlversprechen ehrlich erklären oder gar ändern kann oder will?
Inwiefern sollten in welchen Bereichen neue sinnvolle Regeln und Trainings eingeführt werden, so dass auch wache, gut unterstützte, auf Fairness trainierte und vernetzte kommunikationsfähige Bürger und Beamte vorsorgen und notfalls schnell und effektiv reagieren können, so dass keine gesellschaftspolitischen Katastrophen mehr passieren wie brennende Flüchtlingsheime oder Übergriffe an der Silvesternacht in Köln?
Inwiefern kann es gelingen, mit gerechten Steuern und Bildungschancen, mit ausreichend Wohnraum für Geringverdiener, fairen Löhnen und Renten oder gar Grundeinkommen der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich so entgegenzuwirken, dass keine dauerhaften Verlierer in der Gesellschaft entstehen und Migranten nicht gegen Einheimische ausgespielt werden? Meiner zwischenzeitlich arbeitslosen Münchner Freundin wurde im Jobcenter jüngst die Auskunft gegeben, als Flüchtling würde sie mehr Bezüge vom Staat bekommen. Sie hatte jahrzehntelang in die Rentenkasse eingezahlt und weiß, dass diese Rente nie und nimmer ihr ein gutes Auskommen im Alter bescheren wird. Das ist bitter und es ist ungerecht!
Wenn wir eines aus der Geschichte lernen könnten: Krisen fallen nicht vom Himmel. Sie entstehen als Folge unterlassener Reaktionen, Korrekturen und falscher Weichenstellungen. Ein Zug kommt nur dann an, wenn an der jeweiligen Stelle die Weiche entsprechend gestellt wurde. Sonst entgleist er oder kommt ganz woanders an.
Und Krisen festigen sich aufgrund von Gewohnheit, Selbstschutz, dem oft auch mangels Rückhalt berechtigten mangelnden Mut, Fehler wirklich einzugestehen und nachhaltig zu korrigieren. Jeder will sein Gesicht wahren, erst recht diejenigen, die öffentliche Ämter bekleiden. Die oft unreflektierten und ungezügelten Reaktionen durch das Internet mag diese Tendenz noch verstaerken. Der deutsche Perfektionismus neigt dazu, sich im Abstrakten einzurichten und abzuschotten. Versehen mit moralischen Appellen man sollte oder müsste. Dabei kommt natürlich die Beziehungsebene zu kurz, aber ohne die in Form einer respektvollen Begegnung und Anerkennung des Anderen läuft eben gar nichts.
Und wie immer ist vieles letztlich gut gemeint, oberflächlich durchorganisiert, aber hintergründig chaotisch und langfristig nicht gut zu machen. Das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge hat in den letzten Jahren sehr viele neue Sachbearbeiter angestellt. Die wenigsten bringen natürlich die Voraussetzungen mit, die wirklich wichtig waeren: gutes psychologisches Gespür in Verbindung mit exotischen Sprachkenntnissen wie Arabisch, Urdu, Farsi etc. Im Zugrestaurant kam ich vor kurzem ins Gespräch mit einem Fachanwalt für Migrationsrecht. Sein Gespräch mit dem BAMF in Düsseldorf ergab, dass vier garantiert nicht angemessen bezahlte und ausgebildete Angestellte 60.000 Anträge zu bearbeiten haben …. Das wird hoffentlich nicht überall so sein, aber ein Fall reicht in dem Fall. Kolossale Überforderung trägt sicher nicht dazu bei, jeden einzelnen komplexen Fall, hinter dem immer ein einzelner Mensch steht, oft traumatisiert und unbehandelt, zur Zufriedenheit aller lösen zu können. Und es erklärt eben auch, wie gefaehrliche Lücken entstehen können, die letztlich zu Lasten aller gehen.
In einer pluralistischen Gesellschaft, die überdies Wert legt auf individuelle Freiheit, hat jedes Individuum andere Voraussetzungen und sucht daher in diesen bewegten Zeiten seinen momentan stimmigen Standort zwischen rechtsextremer Abschottung mit Feindbildprojektion Nichtdeutschen gegenüber und naivem, Migranten und Ausländer verklärenden Gutmenschentum mit Feindbild denjenigen gegenüber, die Ausländer kritisieren, mehr oder weniger noch beschwert mit ungeklärt schlechtem Gewissen der kollektiven deutschen Vergangenheit gegenüber.
Bei der Umwelt haben wir klar benennbare Faktoren: Diese und jene Ursache verursacht diese Verschmutzung, die wiederum einen anderen Faktor im ökologischen Gleichgewicht negativ beeinflusst, so dass allmählich alles aus dem Gleichgewicht gerät. Wir wissen es, tun aber zu wenig dafür. Genauso ist es im seelisch-geistigen Bereich. Viele bewegen sich in unserer Wohlstandsgesellschaft nicht, weil sie es nicht müssen oder auch nicht wollen. Und die Resignation aus Angst vor unabwägbaren Risiken dauerhaft bevorzugen.
Von Moshe Feldenkrais stammt der geniale Satz: „Nur wer weiß, was er tut, kann tun, was er will.“ Gäbe es eine unüberprüfbare, objektive Möglichkeit, den Handlungsspielraum eines jeden Menschen so zu justieren, dass er im gesunden Verhältnis steht zu seiner inneren und äusseren Aufgeräumtheit, wäre es spannend zu sehen, auf welchem Platz dann jeder von uns landen würde.
Doch meist bleibt es auch in unseren Demokratien beim Spiel „Denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Denn wissen impliziert, das Handeln auch in Bezug auf die daraus entspringenden Konsequenzen für sich und die Betroffenen ausreichend im Blick haben zu können. Und sich darauf zu verlassen, dass sehr gute Mitspieler dabei sind, das Problem mitzulösen.
Der Mensch ist das Maß aller Dinge und jeder Mensch ist anders und doch in einem gewissen Sinne dem anderen ähnlich
Wir sind Menschen, d.h. uns steht erst mal trotz Technik nur der menschliche Blickwinkel zur Verfügung, basierend auf den Tools wahrnehmen, denken, fühlen, handeln. Nach innen und außen. Aus dem heraus wir mit anderen in Beziehung treten, d.h. andere mehr oder weniger integrieren können, wollen oder eben nicht.
Jede Person ist im hinreichend gesunden Zustand wie ein nicht aufzuspaltendes Element, einem Proton im Kern der Atome vergleichbar. Und Individuum heißt auch übersetzt ein nicht Aufzuteilendes, Teilbares.
Und gleichzeitig ist der Mensch meist kein Einsiedlerkrebs, sondern ein zoon politikon, ein der Gemeinschaft bedürfendes Wesen. Das macht uns begegnungsfähig, andererseits schafft genau das auch wieder Herausforderungen. Denn meist werden wir, wenn überhaupt, erst im Nachhinein klug. Und das in allen Lebensaltern.
Integriert sein bedeutet, Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Handeln stimmig zusammenbekommen. Und aus diesen übereinstimmenden Ebenen zu agieren und zu reagieren. Zu wissen und zu respektieren, wo mein eigener Horizont endet und wo ein anderer beginnt. Das braucht Zeit und Übung und ehrliche gute Rückmeldungen von wachen Mitspielern beim Lebensspiel „Themenzentrierte Interaktion“. Die von Ruth Cohn konzipierte Methode mit den Elementen Ich – Du – Thema ist im Grunde unser aller Lebensmotto:
Und Störungen haben nach dieser Methode immer Vorrang, müssen infolgedessen klar und ehrlich von allen Seiten angegangen werden. Wenn die Störungen überwiegen und sich nicht zufriedenstellend beheben, kommt das Thema zu kurz oder es bricht zusammen. Dann lösen sich Partnerschaften, Freundschaften und Arbeitsplätze auf, werden nach und nach ausgewechselt, um die Leerstellen wieder zu füllen. A apropos Leerstelle: habe neulich den tollen israelischen Film „Filling the void“ gesehen. Grandios! Liebe und das Leben haben bisweilen weniger mit individueller Selbstverwirklichung zu tun als wir Westler und Hollywoodhypnotisierte das glauben.
Integration, egal auf welcher Ebene mit welchen Menschen, kann auf gute Weise mit einem gemeinsamen, selbst gewählten Ziel schnell entstehen. Wichtige Impulse setzt dabei die Leitung, die, wenn sie selbst angemessen gefordert und gefördert wird, bei allen die nötige Begeisterung erzeugen kann, ohne die ein langer Weg, wie das Leben sein kann, nicht durchzuhalten ist. Hier sollten wir Deutsche noch viel von den Angelsachsen abschauen. Führungskraft bedeutet bei ihnen, dass es ihr gelingen muss, die anderen von sich zu überzeugen. Hier bedeutet es immer noch oft, aufgrund der Hierarchie das Recht zu haben, eigene Defizite ungehemmt ausleben zu können.
Der Dirigent Ben Zander beschreibt das sehr schön in seinem Buch „The Art of Possibility“. Zu einem gewissen Zeitpunkt verabschiedete sich Ben Zander bewusst von seiner auf negativer Kritik basierenden Haltung und fragte sich beim Blick auf sein Orchester: „Who am I that their eyes are not shining?!“ Das heißt, ihm wurde klar, dass er etwas dafür tun musste, dass diese exzellenten Musiker ihm freiwillig folgten, indem er eben durch Kompetenz und Authentizität Begeisterung in ihnen erzeugte.
Die magnetische Ausstrahlung von manchen Musikern mag damit zusammenhängen, dass sie ihre Kompetenz in einer limitierten Zeit zeigen können und wollen, durch das Medium Musik auf wundervolle hochemotionale Weise hörbar und erlebbar. Wenn sie dann zusätzlich in Interviews als wirklich integrierte, menschliche Persönlichkeiten erscheinen, übt das einen Zauber aus, der jeden halbwegs wachen Zeitgenossen berühren muss.
Dank youtube können inzwischen so gut wie alle diese Persönlichkeiten erleben, gerade auch über Mitschnitte von Meisterkursen. Diese Mitschnitte habe meiner Meinung nach therapeutischen Charakter. Denn deren Wachheit, Begeisterung überträgt sich auch über den Bildschirm. Wer Klassik mag und sich gerade nicht integriert fühlt, kann es mal mit Konzerten und Meisterkursen von Daniel Barenboim, Itzhak Perlmann, Anne Sophie Mutter, Julia Fischer, Thomas Hampson und Janine Jansen, Kiri te Kanawa und wie sie noch alle heißen mögen probieren. Der Energielevel wird steigen, garantiert! Auch wenn man als Laienmusiker und Zuhörer dabei seufzen mag, dass man nie so gut spielen und singen können wird wie diese brillanten Künstler. Aber sie sind leibhaftiges Beispiel dafür, dass es so etwas wie Vollkommenheit gibt, und sei es kondensiert auf die Dauer eines Beethoven Violinkonzerts. Und jeder noch so brillante Musiker braucht wertschätzende Zuhörer!
Auf der anderen Seite: Dieses Prinzip der Begeisterung und des authentischen Ausdrucks könnte man doch auch viel mehr in unseren Alltag integrieren. Im Sinne Gustav Mahlers berühmtem Zitat „Tradition ist nicht Anbetung der Asche, sondern Weitergabe des Feuers.“
Wer sagt, dass der Alltag überwiegend steril, nüchtern, belastend und sachlich zu sein hat? Unsere Lebenswelt ist meiner Meinung nach gerade in Deutschland viel zu sehr aufgeteilt in leistungsorientiertem, angepasstem Arbeitsalltag und privat exzentrischem oder extrem ruhebedürftigem Privatdasein. Doch ich kann mich letztlich nicht als Person abgeben, wenn ich das Büro betrete. Und wenn ich das tue, habe ich es vielleicht zunächst bequemer, bekomme aber früher oder später eine wie auch immer geartete Quittung. Geniale Ideen für eine wohltuende Neugestaltung unseres Lebens gibt Alain de Botton in seinem Buch „Religion für Atheisten“. Er entnimmt Praktiken aus der Religion und säkularisiert sie so, dass sie uns allen ungeachtet welcher Religion wir uns zugehörig empfinden oder auch nicht, zu Gute kommen könnten. Und wir keine Scham mehr haben, uns und die anderen auch in den Schwächen zu akzeptieren. Denn genau diese bergen oft überraschende Entwicklungsmöglichkeiten. Was wohlgemerkt nicht heißt, Übergriffe zu tolerieren, die wir als bedrohlich empfinden!
Gut mit Schwächen umzugehen, ist auch Aufgabe im Sprachunterricht.
Die Gruppe ist von der Unterrichtskraft abhängig wie ein Kind von den Eltern, das hofft, von dem Elternteil angemessen gespiegelt, gefördert und gefordert zu werden. Dabei entsteht für die Kursteilnehmer in der hierarchiefreien Begegnung untereinander tatsächlich eine Art von Zugehörigkeit mit einem gemeinsamem Ziel und für die Lehrkraft entsprechende Verantwortung. Ich selbst habe keine Kinder und ich war auch manchmal nicht unglücklich darüber, dass diese Gemeinschaft mit einer Klasse im Gegensatz zu einer Elternschaft nur wenige Wochen dauerte. Aber es gab auch immer wieder Gruppen, mit denen ich gerne länger zusammengearbeitet hätte. Es ist eben auch inspirierend für die Lehrkraft, wenn offene, wache und ausreichend disziplinierte Menschen aus allen Ländern der Welt zeigen, dass sie am Inhalt des Kurses und an der Fremdsprache wirklich interessiert sind und sich mit diesen Unterschieden sowie dieser wachen Offenheit ein kosmopolitisches höheres Wir herausbildet, durch das sich beide Seiten bereichert und erweitert fühlen. Auf diese Weise reiste ich in gewissem Sinne in den Kursen durch die Welt, denn ich erfuhr ja direkt von Einheimischen, wie es in ihren Ländern zugeht. Was ich gerne in materieller und nicht materieller Form nach Deutschland importieren würde und was sie persönlich an Einsichten und Aussichten aus dem Kurs mit in ihr Land nehmen würden.
Dieser eminent wichtige Austausch, als Basis von Integration im Sinne einer beidseitigen wertschätzenden Anerkennung, der jedoch so auf keiner firmeninternen oder nationalen ökonomischen Bilanz erscheint, wird als vielschichtige komplexe zeitintensive, nicht kalkulierbare, unabdingbare Voraussetzung meist völlig unterschätzt. Und auch nicht angemessen bezahlt. Er entsteht, indem die Teilnehmer und Lehrkraft schon die entsprechende Haltung mitbringen, oder indem die Lehrkraft sie während des Kurses erschafft.
Ich selbst habe mich nicht für die so genannten Integrationskurse qualifiziert, weil die Anforderung an die Lehrkraft und Wertschätzung sowie Bezahlung durch das Institut und die Teilnehmer meist in keinem guten Verhältnis stehen. Die Lehrkräfte werden jetzt endlich zwar etwas besser, aber längst nicht angemessen bezahlt. Zusätzlich sind sie jetzt mehr bürokratischen Richtlinien mit weniger pädagogischer Freiheit verpflichtet und haben im Verhältnis zu den vielen Inhalten des Lehrplans immer noch zu viele Kursteilnehmer (meist um die 20) mit unterschiedlichstem Bildungshintergrund.
Im Grunde ist eine motivierte und erfahrene Lehrkraft mit einer hochqualifizierten interkulturellen Führungskraft vergleichbar. Sie muss die Sensibilität haben, um auch das nicht Gesagte bei unterschiedlichster kultureller Herkunft zu verstehen und konstruktiv einzubinden oder abzuwehren, muss ständig fördern und fordern, so dass alle Teilnehmer, die den Willen haben, die Sprache zu lernen, mitgezogen werden. Im Hinblick darauf, dass sie sprachlich selbständige Teilnehmer in dieser Gesellschaft werden, an deren Mentalität sie sich überdies gewöhnen müssen. Sieht man dann, wie dieser hochsensible permanente Spagat zwischen Beziehungsebene und Lernstoff „bezahlt“ wird, wundert man sich, wie viele diesen Job noch machen. Denn man muss von dem mageren Stundensatz monatlich 20 % in die Rentenkasse und etliche Hundert Euro in die Krankenkasse einzahlen. Bei Krankheit bekommt man sowieso nichts und nach so und so vielen Jahren Erfahrung bekommt man meist denselben Stundensatz wie Anfänger in diesem Bereich. Und auch die wenigen Festanstellungen sind unterbezahlt. Denn zusätzlich zur Arbeitszeit kommen ja noch Vorbereitung und Korrekturen.
Einen kurzen, nachhaltigen Einblick erhielt ich in die so genannten Flüchtlingskurse kurz nach meinem Umzug nach Berlin.
Man kann es nicht den Flüchtlingen vorwerfen, dass ich mich wie eine Lehrkraft in einer Bahnhofshalle fühlte, jeden Tag neue Kursteilnehmer vorfindend, weil die VHS es sich im Winter 2015/16 auf die Fahnen geschrieben hatte, dass die Teilnahme freiwillig erfolgen sollte. Teilnehmer, die nicht mal in ihrer Muttersprache alphabetisiert waren, saßen neben Akademikern. Ehemänner, die merkten, dass ihre Frauen besser waren und in den Dialogübungen natürlich auch mit anderen Männern im Kurs sprachen, ließen bald ihre Frauen mit fadenscheinigen Entschuldigungen zu Hause. Bei den Frauenkursen waren auch die unterschiedlichen Lernbiografien und Unterrichtsanwesenheiten beträchtlich. Meine kritische Rückmeldung an die Leitung zu dieser wenig erfreulichen Ausgangslage führte dann dazu, dass ich keine Kurse mehr bekam. Oder ich selbst von dem Job zurücktrat. Weil ich nicht das dicke Fell und die Geduld habe, optimistisch über all die mangelnden Voraussetzungen hinwegzusehen.
Inzwischen mag die Situation etwas besser geworden sein. Denn es ging in dieser stürmischen Anfangsphase um sehr viele Zuschüsse, die die Träger dieser Kurse vom Staat erhielten und man wollte oder konnte es sich zeitlich gesehen nicht leisten, problematische Strukturen wahrzunehmen geschweige denn umzugestalten. Denn das hätte unter Umständen das Zudrehen des Geldhahns bewirkt.
Ich hoffe, dass die Lehrkräfte mittlerweile wirklich ernst genommen und wertgeschätzt werden, denn diese stehen an der Front! Es sind überwiegend die schlecht bezahlten, nicht abgesicherten Dozenten, die die Brücke zwischen den Migranten, Flüchtlingen und der einheimischen Bevölkerung darstellen! Genauso bei gebildetem wohlhabenden Sprachkursklientel, das größtenteils das Goethe Institut besucht. Die Lehrkräfte sind letztlich die Visitenkarte der Institute. Und eigentlich bei allen mehr oder weniger gut bezahlenden oder mehr oder weniger schlecht ausgestatteten Instituten sind die Lehrkräfte unzureichend integriert, im Sinne, dass die Leitung auch ausreichend hinter den ohnehin nicht abgesicherten Dozenten steht und vorwiegend kunden- und profitorientiert agiert.
Ansatzweise ist mir einigermaßen klar, welch gewaltige Anstrengung es von allen Seiten erfordert, diesen Extraaufwand in Bezug auf die Flüchtlinge finanziell, seelisch und mental zu bewältigen.
Vor Jahren war ich von Syrien begeistert und besuchte dank meiner Beziehung zu einem Syrer das Land in drei eindrucksvollen Reisen. Bei aller Faszination war mir aber immer klar, dass ich dort schon aufgrund dieser immens schwierigen Sprache nicht heimisch werden könnte. Vom diktatorischen Regime und der muslimischen Kultur mal ganz abgesehen. Und da die Flüchtlinge hier überwiegend eben nicht zu einer privilegierten, internationalen, fließend Englisch sprechenden und arbeitenden Elite gehören, der westliche Werte selbstverständlich sind, muss man ihnen auch wirklich lange genug Zeit und das nötige Verständnis geben. Was nicht heißt, alles zu akzeptieren. Ich persönlich empfinde hier in Europa totalverschleierte Frauen als Zumutung. Bei aller Unterschiede der europäischen Länder, ist Sichtbarkeit des ganzen Gesichts doch ein übereinstimmendes, wichtiges Merkmal. Und da bin ich durchaus für den Heimvorteil. Wem das zu viel ist, sollte nicht dauerhaft hierher wollen.
Herausforderung Integration als möglichst nicht zu wiederholendes, negatives Beispiel
Zusätzlich zu all den täglichen Anstrengungen der Migranten selbst, der Lehrkräfte, der Einsätze von ehrenamtlichen Mitarbeitern bleibt zu hoffen, dass diese immense Herausforderung einigermaßen gelingt, ohne dass sich die Erfahrung mit der türkischen Gastarbeitergeneration dramatisch wiederholt: zu wenig fordernde Hilfe vom Staat und zu wenig wirkliches Interesse von vielen, die in das Land strömen, in dem angeblich Milch und Honig fließt. Wobei von Kriegstraumatisierten und Verfolgten das Interesse auch gar nicht erwartet werden kann. Selbst wenn die Behandlungskosten angemessen bezahlt werden könnten, ist die Frage, ob das allein schon sprachlich mit genug geeigneten Übersetzern zu bewältigen wäre.
Das geflügelte, aus echtem Mitleid geborene Wort „Wir schaffen das schon!“ von Angela Merkel, inwiefern hat sie da Die schreckliche Mär vom Gelobten Land heraufbeschworen, in dem angeblich permanent Milch und Honig fließt, d.h. heute in Form finanzieller Grundsicherung?!
Dieses Thema findet sich bereits in der Bibel und man muss sich nachträglich auch fragen, inwiefern die damals dort ansässigen Kanaaniter und Philister davon begeistert waren, dass die einwandernden Stämme des Volkes Israel just diese Gegend als das Gelobte Land beanspruchten…..Bevor mir jetzt jemand Antisemitismus unterstellt, stelle ich gleich klar, dass diese „Offenbarungen“ und „Verheißungen“ im Sinne idealer oder ideologischer mehr oder weniger durchdachter geistiger Konzepte bei den meisten Religionen und Sekten zu beobachten sind. Der Artikel in dieser Zeitung über Hyam Maccoby arbeitete eindrücklich das verheerende schattenbildende Prinzip des Christentums gegenüber der jüdischen Bevölkerung heraus, das bis heute nachwirkt. Und außerhalb von Religion gibt es das Phänomen genauso in politischer oder wirtschaftlicher Form von Nationalismus, Nationalsozialismus, Kommunismus, Kapitalismus etc.
Ob mit oder ohne religiösen Überbau: Immer will eine Seite sich auf Kosten der anderen rücksichtslos durchsetzen und jenen Anderen mehr oder weniger den Schwarzen Peter zuschieben, um die eigenen Privilegien zu sichern und sich eigene Unzulänglichkeiten nicht ansehen zu müssen. Denn der Anblick des eigenen Schattens ist halt immer unangenehm und da jener sprachlos ist und nicht sagen kann „Hallo, ich bin dein Schatten“, kann der Mensch mittels Projektion diesen der anderen Seite problemlos zuspielen und sich selbst im Recht fühlen.
Genau das wirkt aber massiv einer individuellen und kollektiven Integration im guten Sinne entgegen! Wie kann dem entgegengewirkt werden? Nur durch genaues, ehrliches, weitgehend von Vorwürfen freies Hinsehen, das jeder mit und ohne Hilfe ein Stück weit selbst bewältigen muss. Ausreichend Rückhalt und gute Zusammenarbeit sind dabei unerlässlich. In puncto Flüchtlinge greifen bis jetzt zu wenig europäische Mitgliedstaaten Deutschland unter die Arme. Und die EU wiederum unterstützt zu wenig die europäischen Küstenländer Spanien, Italien und Griechenland. Die EU muss sich auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik verständigen: Was wollen wir und wie setzen wir es um? Und wer von den EU Ländern sich da ausklinkt, hat eigentlich kein Recht, weiterhin in der EU zu sein. Ich kann nicht nur Privilegien wollen und keine Pflichten erfüllen.
Könnte man diesen Ländern wie Polen und Ungarn klar sagen, dann seid ihr nicht mehr Mitglied, wir entlassen euch, sähe die Realität schnell anders aus.
Die Türkei unter Führung ihres diktatorischen Präsidenten kommt als verlässlicher engagierter Partner schon nicht mehr in Frage, das Problem einigermaßen zufriedenstellend mitzulösen. Die arabischen Länder an der afrikanischen Nordküste haben ganz sicher kein Interesse, trotz zu erhaltender Milliarden die Flüchtlinge „abzufangen und zwischenzulagern“. Sie haben selbst immense Probleme. Wo bleiben eigentlich die Saudis in dieser schwierigen Situation? Saudi Arabien ist immens reich und hat viele leere Flächen. Anstatt Milliarden in den sinnlosen Kauf von Waffen oder in den Bau von Moscheen weltweit zu investieren, die bis jetzt nicht zu einer dringend nötigen Aufklärung des Islams geführt haben, sollten sie sich aufgerufen fühlen, ihren arabischen Schwestern und Brüdern nachhaltig unter die Arme zu greifen.
Zusätzlich bleibt nur eine, wenn auch sehr schwierige Strategie: Die Ursprungsländer fordernd-fördernd zu motivieren, sich nach und nach in einen Zustand zu versetzen, dass es sich wieder für die Einwohner lohnt zu bleiben, verbunden mit der vernünftig-radikalen Minimierung der Erwartungshaltung, dass jeder nach gefährlicher Überfahrt nach Europa einwandern kann, dort versorgt wird und bleiben kann.
Vorbereitung ist die halbe Miete
Angesichts der für viele Seiten als bedrohlich empfundenen Realität ist es zumindest erlaubt oder gar notwendig, Utopien im Sinne machbarer Konzepte zu entwickeln. Die bei entsprechend guter Umsetzung zur Entschärfung der Situation beitragen könnten.
In jedem Defizit liegt auch eine mögliche Chance. Die es zu erkennen und mit der nötigen Zustimmung oder mit nötigem Druck zu verwirklichen gilt. Wenn die Türkei und die arabischen Länder der afrikanischen Nordküste als „Auffanglager“ nicht in Frage kommen, könnten gewisse EU Länder an der Küste diese Rolle übernehmen. Idealerweise Länder mit vielen Inseln. Länder wie Griechenland, die ihre Bilanzen bei Eintritt in die EU etwas geschönt haben, könnten z.B. mit entsprechender finanzieller und fachlicher Unterstützung aller europäischer Staaten einige Inseln bereitstellen, am besten gleich geordnet nach Sprachgruppen. Eine griechische Insel wäre dann der Vorbereitungsort für Frankreich, eine andere für Griechenland, die nächste für Deutschland und eine weitere für Rumänien etc.
Geleitet von Marinebooten würden dann die Flüchtlinge entsprechend eines Verteilungsschlüssels auf die Inseln verteilt, und diejenigen geflüchteten Männer, die fit genug sind, müssten sich gleich am Aufbau von menschenwürdigen Quartieren beteiligen. Ikea, sowieso berühmt dafür wie viele andere internationale Konzerne auch, erfolgreich Steuern einzusparen, könnte einen guten Bausatz entwickeln mit Anleitung auf arabisch, Urdu, Farsi etc. Die dafür nötigen Materialien sollten dann möglichst schnell auf die Inseln gebracht werden. Im Learning by doing Verfahren lernen Männer beim Aufbau der Gebäude gleich die Begriffe in der Zielsprache französisch, rumänisch, holländisch, deutsch etc. Nach Fertigstellung der Gebäude besuchen auch die Männer einen mindestens zweistündigen Sprachunterricht pro Tag, bei Bedarf Alphabetisierung, flankiert von sinnvoll gestalteten, reduzierten praktischen Ausbildungsinhalten eines Handwerks- oder anderweitigen Berufs.
Frauen werden so bald wie möglich einige Stunden täglich in der Zielsprache unterrichtet und lernen auch andere wichtige Fertigkeiten wie Schwimmen und Fahrrad fahren, während ihre Kinder im entsprechenden zweisprachigen Kindergarten gehütet werden. Natürlich müssen auch genügend Ärzte und Traumexperten mit Übersetzern vor Ort sein. Es gibt ja dank EMDR und anderer Methoden recht schnell wirksame Techniken.
Es muss ein sinnvoller Lehrplan existieren, der in regelmäßigen Tests überprüft wird. Und nur diejenigen, die ein Sprachniveau von mindestens B1 und eine vom Zielland benötigte Qualifikation wenigstens teilweise erreicht haben, können dann in das entsprechende europäische Land einreisen. Wobei schon feststeht, in welche Stadt zu welchem Arbeitsplatz sie zunächst kommen. Gut geschulte und bezahlte Begleiter helfen einige Zeit dabei, dass die Neuankömmlinge sich gut eingliedern können. Auf diese Weise kann man sich hier etliche überforderte Ämter und Angestellte einsparen! Ich könnte mir vorstellen, dass allein diese Forderung nach ausreichend Sprach- und Tätigkeitsnachweisen sowieso etliche Flüchtende davon abhalten wird, unter gefährlichen Umständen nach Europa zu fliehen. Erst recht, wenn im Ursprungsland möglichst bald erkennbare Fortschritte stattfinden und die Nachricht verbreitet wird, dass jede Flüchtlingsinsel eine maximale Aufnahmekapazität hat. Junge unbegleitete Flüchtlinge könnten, falls Platz vorhanden, zusätzlich nach dem Modell von Palermo gefördert werden. Die sizilianische Stadt hat ein sehr wirksames Programm entwickelt. Die Jugendlichen wohnen in Wohngemeinschaften zusammen mit drei oder vier Einheimischen. Ein Flüchtling ist hier also eingerahmt von mehreren Einheimischen, muss jeden Tag den Sprachunterricht besuchen und wird auch von Sozialarbeitern gefordert und gefördert. Bis er fähig ist, eine Berufsausbildung zu machen. In der er auch begleitet wird. Und die, die das nicht schaffen, werden in ihre Länder zurückgeschickt, um dort ihre Ausbildung sinnvoll fortzusetzen. Wer sagt denn, dass jeder, der zurückkommt, gescheitert ist? Er kann durch seine bisherigen Erfahrungen zur Bereicherung seines Landes in mehrfacher Hinsicht beitragen. Bei der finanziellen und fachlichen Unterstützung der Ursprungsländer muss Sorge getragen werden, dass die Perspektiven für Arme steigen. Ohne dass dabei das Geld durch Korruption verschwindet oder Hilfestellungen und Entwicklungen blockiert werden. Alles steht und fällt auch hier mit der angemessenen Förderung von Frauen! Frauen müssen ausreichend ausgebildet und gut trainiert werden, um selbständig gut entscheiden zu können. So wie die Mitochondrien die Kraftwerke unserer Körperzellen sind, vererbt nur über unsere Mütter, so müssen Frauen als Kraftort der Familie gestärkt werden. Ausbildung heißt nicht immer akademische Bildung! Je nach Talent und Ehrgeiz müssen Kinder unabhängig vom Geldbeutel der Familie gefördert werden. Von diesem Zustand sind wir hier ja auch noch sehr weit entfernt…. Das müssen wir hier und die dortigen Regierungen durchsetzen, egal, ob sie Demokratien oder Diktaturen sind. Dabei spielt auch die gute Vermittlung von Geburtenkontrolle eine wichtige Rolle. Und sei es über die chemiefreie muslimische Umkehrung: Wenn eine Frau z.B. vier Männer heiraten könnte, dann können drei andernorts arbeiten, einer bleibt zu Hause, die Zahl der Kinder bleibt automatisch überschaubar und der Wohlstand wächst. Das gibt es übrigens schon in Tibet!
Dabei könnten die europäischen Firmen, die Flüchtlinge aus diesen Ländern beschäftigen, nachhaltig helfen. Indem jene Ausgebildete und hier ausreichend Integrierte dabei helfen, im Ursprungsland nach und nach gut modifizierte und adaptierte Ableger zu bilden. Das gibt es natürlich alles schon, es muss halt noch wesentlich mehr werden. Und das, was dort entsteht, muss beschützt werden, notfalls vorübergehend durch europäische und einheimische Soldaten. Bis die Gefahr von Gewalt nicht mehr existent ist. Kurzum, eine gewaltige internationale globale Kooperation ist nötig, um uns als Menschheit wieder glaubwürdig zu behaupten und die Welt nach und nach in eine wahrhaft kosmopolitische Friedensinsel zu verwandeln, die den Frieden wahren kann, weil sie gut mit Konflikten umgehen kann. Bei der kein Coca Cola und McDonalds Einheitsbrei entsteht, sondern eine Vielfalt an sich respektierenden Kulturen, deren Mitglieder die für sie relevanten und sinnvollen Ingredienzien anderer Kulturen aufgreifen und mischen, wie eine gute Köchin die Gewürze aus vielen Ländern. Die Münchner Psychiaterin mit türkischem Migrationshintergrund Elif Cindik-Herbrueggen prägte den Begriff des Hybrids für Menschen mit multikulturellem Hintergrund. Eine gebildete, selbstbewusste Mischung aus diversen Kulturen, die sich ihrer vielen Fähigkeiten bewusst ist und sie einzusetzen weiß.
Was Europa im Grunde leisten muss
Europa muss sich dieser Flüchtlingskrise so stellen, dass sie sowohl kurzfristig nicht zu bedrohlich als auch langfristig eine Win-Win Situation für alle wird. Der Zulauf zu den rechten Parteien wird dann schlagartig zurückgehen, wenn gewählte europäische Politiker den Mut haben, Probleme ehrlich zu benennen und gute, gemeinsam getragene Lösungen national und international auf den Weg zu bringen. Auch wenn sie zunächst nicht immer bequem sind.
Der zweite Weltkrieg konnte u.a. nur durch Churchills ehrlichen Appell „I have nothing to offer but blood, sweat and tears“ gewonnen werden. Und genau diese Ehrlichkeit befeuerte die Briten, zunächst im Alleingang mit unglaublichem Einsatz gegen die Deutschen zu bestehen.
Das einzige Rezept gegen Katastrophen lautet wach bleiben und rechtzeitig reagieren. Oder anders gesagt „Sicherheit bedeutet zu wissen, dass Veränderungen auftreten werden und ich bereit und fähig bin, mit ihnen umzugehen.“ Sonst geraten wir alle persönlich und auch kollektiv in die komplette Dis-Integration. Diese europäische Krise ist im Grunde die Folge der von den USA eingeleiteten Dis-Integration des Nahen Ostens. Ich persönlich würde nach dem Ursache- und Wirkungsprinzip am liebsten G.W. Bush und seine damaligen Kriegstreiber mindestens zwei Millionen Flüchtlinge auf seine Ranch schicken und sie zu deren Englischlehrer verdonnern.
Wenn ein Milosevic vor dem Kriegsgericht in Den Haag angeklagt wurde, warum dann nicht ein G.W. Bush sowie dessen Vater? Was ihre Regierung leichtsinnig und demokratieverblendet losgetreten haben, ist nicht zu beziffern! Im Grunde muss Europa das jetzt ausbaden. So wie die USA und ihre Verbündeten entsetzlich viele Opfer bringen mussten zum Sieg über Hitler.
Positiv gesehen kann man sagen, Deutschland leistet nachträglich seinen Beitrag zur europäischen Wiedergutmachung und andere europäische Staaten leisten ihre Wiedergutmachung nach jahrhundertelanger Ausbeutung ihrer Kolonien.
Diese stetigen rückwärts gewendeten Schleifen zeigen auf, wie sehr wir noch kollektiv in der Vergangenheit hängen! Eine wirkliche Wiederherstellung und Ergänzung von kollektiven, mehr oder weniger guten multikulturellen, gar hybriden Gebilden im guten Sinne steht bei weitem noch aus, denn dazu müssen noch viel zu viele Defizite angeschaut, transformiert und gelöst werden. Indem sich auch jeder Einzelne mit Anderen dieser Aufgabe stellt. Auch wir hier im Westen machen bei Familienaufstellungen und anderen therapeutischen Prozessen laufend die Erfahrung, dass wir und das Familiensystem eben nicht integriert sind, dass alte Verletzungen im System, erfahren durch Einzelne in traumatisierenden Situationen, noch lange nachwirken.
Die Flüchtlingskrise kann weiterhin dazu beitragen, dass Muslime selbst den Islam ausreichend modernisieren. Indem sie neue Sichtweisen integrieren, wie wir vor über 250 Jahren während der europäischen Aufklärung, dass der Koran eben auch historisch kritisch gelesen werden muss und nicht als unreflektierte Handlungsanweisung für Frustrierte jeglicher Richtung missbraucht werden darf.
Ganz banal gesprochen: Es gäbe weitaus weniger Selbstmordattentäter, wenn die Sexualmoral jener Länder für Männer und Frauen offener und die beruflichen Perspektiven dort weitaus besser wären. Diese erstbesitzorientierte Jungfrauenfixierung bei der Heirat, für zahllose arme junge Muslime sowieso nicht möglich oder wünschenswert, korreliert direkt mit der Zahl der Jungfrauen im Paradies, die angeblich auf Attentäter nach deren Tod warten. Unvergessen jene dänische Karikatur, in der Mohammed einen gerade angekommenen Selbstmordattentäter ermahnt „Stop it (=bombing), we have run out of virgins.“ Für diese treffende Erkenntnis wurden und werden nach wie vor westlich orientierte Autoren und Grafiker bedroht und verfolgt. Und das im 21. Jahrhundert.
Auf der anderen Seite: Hört man AFDler wie den akademisch ausgebildeten Bernd Höcke von blonden deutschen Frauen, Hass auf Ausländern und anderem Unsinn faseln, glaubt man sich auch wieder mitten im finstersten Mittelalter zu befinden … Alle haben wir unsere dunklen unreflektierten Seiten, auf die wir gut achten und die wir durch Einsicht selbst heilen müssen. Wie sagte C.G. Jung so schön: „Erleuchtung heißt nicht ins Licht zu schauen, sondern Licht ins Dunkel zu bringen.“ In christlicher Übersetzung: „Liebe deine Feinde.“ Denn sie spiegeln dir das, was du unbewusst abwehrst und doch zu dir gehört. Aber werde auch nicht das Opfer deiner Feinde! Weil du zu gutgläubig und naiv meinst, wir müssen uns nur alle lieb haben und alles wird gut. So einfach ist es eben nicht. Es sei denn, man empfindet das Leben Jesu für sich selbst als vorbildhaft und will als Märtyrer enden. Dass dessen Tod uns bisher nicht erlöst hat, diese Wahrheit sollte doch jedem aufgehen.
Seyran Ates, die mutige Anwältin aus Berlin, geht bereits in die richtige Richtung, indem sie Muslime da abholt, wo sie stehen. Sie lässt sich zur Imamin ausbilden und hat eine liberale muslimische Gemeinde gegründet. Auf diese Weise gibt sie den Impuls, das menschliche Gesicht dieser Religion zu zeigen und zu entwickeln. Weil Religion das Produkt von Menschen ist, zeigen Religionen auch dessen Seite: die destruktive und die konstruktive.
Integration im Sinne einer natürlich erfolgenden Anbindung an das universale, geistig-seelische Prinzip
Wenn diese Restitutio ad integrum (Ausdruck der Hildegard von Bingen) nach Heilung jener vielen individuellen und kollektiven Verletzungen vielleicht wirklich irgendwann dank nötiger Abgrenzung, Zuwendung und Motivation gelingt, dann ist vielleicht auch ein unmittelbarer irdischer Zugang zum „Himmelreich“ keine spinnerte spirituelle Vision mehr! Im Sinne eines optimalen Zugangs zu einem dann optimierten morphischen Feld, das letztlich Gegenstand jeder Religion war und ist und das ja bereits heute in Therapien laufend angezapft wird. Und das sogar Wissenschaftler wie Rupert Sheldrake nachweislich definiert haben. Auch Atheisten träumen von einer Welt ohne Konflikte, die wir alle als Paradies, Nirwana, ewigen Frieden oder das himmlische Jerusalem titulieren und die zeitweise als harmonisches Miteinander, in Meditation oder einem intensiven Hobby erfahrbar wird.
Nüchtern gesprochen:
Integration von uns In- und Ausländern gelingt umfassend dann, wenn jeder Einzelne die Voraussetzung bekommt und sie sich auch selbst schaffen will: eine bewusste vielgliedrige Brücke zu sein: nach links und rechts, nach unten und oben, nach vorne und hinten.
Diese sechs Richtungen sind durchaus auch sinnbildlich gemeint: Nur wenn jeder Einzelne im Moment weiß, was er jetzt will, was er kann und damit an der Gesellschaft partizipieren will, wenn er weiß, was er braucht und dieses dem Mitmenschen ohne schlechtes Gewissen mitteilen kann und ohne bei Frustration auf Gewalt zurückzugreifen, ist er eine potenzielle Bereicherung in dieser Gesellschaft. Das impliziert eben auch, dass der Person klar ist, auf wen sie sich wirklich im Notfall seelisch und finanziell verlassen kann (hinten), was auf sie die nächste Zeit zukommt (vorne), mit wem sie unmittelbar gleichwertig oder hierarchisch verbunden ist (rechts,links, oben, unten), und was ihre ethisch-religiösen Vorstellungen und ihre historisch-familiäreren Hintergründe im Wesentlichen (oben-unten, hinten) sind, die ggf. im Hinblick auf eine gute faire Kommunikation zu klären und zu restrukturieren sind.
Das klingt nach super anspruchsvollem, akademisch-therapeutischem Bildungspaket. Ist es aber nicht! Mit klar formulierten Fragen, am besten in dialogorientierter Interviewform, kann man Menschen dazu anregen, sich zumindest ihres augenblicklichen Zustands bewusst zu werden, den sie dann in ihrer Muttersprache im Internet informativ auffüllen können. Immer wieder stelle ich fest: es ist letztlich nicht die Menge und der Grad an Bildung und Geld, die entscheidend sind. Es ist vielmehr eine gewisse Wachheit, Neugier und Motivation, die eine gute Stabilisierung, Weiterentwicklung und Horizonterweiterung von uns Menschen begünstigen oder eben nicht.
Die Kunst ist wie überall die Balance zwischen Flexibilität und Stabilität. Wie beim Bau und Nutzung der Brücke. Und indem jeder von uns diesen Prozess geht, gehen will oder muss, können wir alle gespannt sein, was sich dabei tut. Der Turmbau zu Babel mit verschiedenen Sprachen und kulturellen Hintergründen, aber einer kooperativen, gemeinsamen, fairen, beschwingten Einstellung ist möglich. Ohne dass andere dabei zu Schaden kommen. Wie sagte Jürgen Fliege immer nach jeder seiner Fernsehsendungen: „Passen Sie gut auf sich auf!“