Wasser
Welches war in der Kindheit Ihr Lieblingsgewässer? Sind Sie wasserscheu, haben Sie Angst vor dem Wasser oder sind Sie gar eine Wasserratte? Haben Sie nah am Wasser gebaut? Was mögen Sie lieber, Seen, Flüsse oder das Meer? Welche konkret? Welche Temperatur mögen Sie zum Schwimmen am liebsten, in Korrelation mit der Jahreszeit? Welches Gewässer hat Sie bis jetzt am meisten beeindruckt?
Welche weiteren Begriffe verbinden Sie mit „Wasser“? Wofür steht es metaphorisch?
Welche Untiefen haben Sie selbst in sich und anderen gefunden?
Hier als Hoerschmankerl das Schubert Lied Der Fischer, gesungen von Dietrich Fischer Dieskau:
Wasser löst, Wasser bindet, Wasser beruhigt, fasziniert, verschlingt und erschreckt bisweilen zutiefst. Beim Thema Wasser denke ich an die früher lebensgefährlichen Fahrten mit dem Segelschiff über die Weltmeere hinweg. Unser Leben wird oftmals verglichen mit einer unsicheren Schifffahrt übers Meer, ein Thema, das u.a. der grandiose Maler Caspar David Friedrich symbolreich aufgegriffen hatte.
Und auch nach dem Tod begleitet uns das Wasser, zumindest in den eindrucksvollen Gemälden Boecklins von der Toteninsel.
Zivilisation hat immer auch bedeutet, das Element Wasser zu zähmen und dienstbar zu machen. Bis hin zu unlebendigen toten Gewässern, die uns Menschen unsere dressierten, erloschenen Seelen spiegeln. Erfreulicherweise gibt es seit Jahren ein Umdenken, auch hin zum Handeln. Die Renaturierung der Isar ist da ein gelungenes Beispiel. In meinen Münchner Jahren ging ich oft an ihren Ufern spazieren und freute mich immer wieder der wiedererlangten schlingernden natürlichen Wildheit des Flusses, dem man seinen Gebirgsflusscharakter wieder richtig anmerkt.
Der Isar ist auch folgender Text gewidmet:
Im Mythos des Krebs verborgen: Die Isar oder im Fluss des Lebens
Sie murmelt, sie plätschert, sie glitzert, sie gurgelt, sie reißt, sie strömt, sie tost, sie rauscht, Isaria, die Reißende – ja, ich bin Bayerns Prima Donna Assoluta unter den Flüssen! An und unter den Steinen und Kieseln vorbeifließend, bade und tauche ich die Tölzer, Lengrieser, Münchner, Landshuter, Moosburger, Freisinger, Dingolfinger, Landauer und Zuogroasten in das Gefühl von Heimat, von Lebendigkeit, in immer wieder neuen Zauber, gespeist von der Freude, an meinen Flussufern im Fluss des Lebens zu sein.
Und in mir gedeiht es, das Leben: Rutten, Huchen, Koppen, Nerflinge, Forellen, Rotbarben, Äschen, Welse, Rotaugen, Schleien, Zander und Sterlete laichen, schlüpfen aus, wachsen, wandern, paaren sich, bis sie wieder laichen, ausschlüpfen, wachsen, alt werden und ihre verendenden glitschigen Leiber sanft meinen zärtlichen Fluten überantworten.
Auf und unter mir tauchen, schwimmen, vögeln, brüten, fliegen und flattern Schwäne, Enten, Kormorane, Eisvögel, Flussseeschwalben, Blaukehlchen, Schwarzhalstaucher, Wasseramseln, Gänsesäger und Flussregenpfeifer.
Biber nagen an meinen Ufern, es schlängeln sich Kreuzottern, Blindschleichen und Schlingnattern, huschen Zauneidechsen über Schotterkiesstrände, verstecken sich unter Alpenlein- und Habichtskraut, Tamarisken, Weißen Silber-wurzen und Wacholder.
Ich sprudle munter über die unzähligen Steine, Felsen, Hölzer und Stämme dahin, fließe um sie herum, im Gleichnis des Lebens dahinströmend, bis ich mich ins nächstgrößere Becken meiner Schwester verströme, der mächtigen Donau.
Sie verweist noch dem Namen nach auf die Urmutter von uns Gewässern, die die Kelten in Irland mit dem Namen Duna und in Wales mit Don anriefen; viele mächtige Wasseradern von den Pyrenäen bis zum Ural sind ihr geweiht: Zeigen nicht ihre einst heiligen Flüsse Dronne, Durance und Don in Frankreich und England, der russische Dnjepr und Dniestr, dass Landesgrenzen trügerische Wände von Menschenhand sind, die Trennungen vorspiegeln und wesenhafte Verwandtschaften verbergen? Auch ich habe Namensvetterinnen wie die in Frankreich strömenden Isère, die Isle, die Isac und Yser, ja auch der am südlichen Alpenrand dahingurgelnde Isarco rühmt sich ausdrücklich unserer gemeinsamen ewigen Verwandtschaft, begründet durch die beiden keltischen Wörtlein Ys (1) und Ura (2).
Vereinigt mit meinen Wassern, befördert die Donau sie weiter durch die mit Wein bewachsenen Ebenen Österreichs, Ungarns und Rumäniens. Mein einst kaltes Gebirgswasser erhält nach den schilfreichen Mündungsarmen der Donau einen milden salzigen Hauch, mündet im Oval des Schwarzen Meeres, ergießt sich an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien, dem Bosporus, weiter in die Europa mit Afrika und Asien verbindende Rotunde, ins Mittelmeer, über das ich, die kleine Isar, in den riesigen Wasserteppich des Atlantiks schwappe, der rechts unten, am Ende von Afrika, auf den Indischen Ozean und links am untersten Zipfel von Feuerland auf den Pazifik prallt.
Menschen, schaut, sind wir Gewässer nicht mit allem verbunden? Felsen höhlen wir aus, Gebirgswände überstürzen wir mit Wasserfällen, auch künstliche Dämme und Deiche überwinden wir irgendwann, wir vereinigen uns auch mit den Wassern vom Himmel, befruchten, befeuchten, schwellen an, steigen hoch, brechen durch, unterwandern, unterhöhlen, überspülen Erde und Gestein, kurzum, glaubt nicht, dass ihr uns jemals zähmen könnt, gaukelt das euch eure Technik auch immer noch vor. Merkt euch, alles Leben kommt aus dem Wasser, schützt und heiligt uns wieder, damit das uralte Spiel der Welt wieder in aller Pracht stattfinden kann, dieser mal wilde, mal sanfte Tanz der vier Elemente, verwoben im erfrischenden, klaren Austausch, verbunden mit allem in einem kostbaren Gleichgewicht zu Gunsten und Ehren eines größeren Ganzen.
Aber erzählen möchte ich euch auch von meiner Geburt, von meinen sprudelnden Quellen und Bächen unter den Gipfeln des Karwendels, wo sich verschiedene kleine Zuflüsse nach und nach zu einem spritzigen Rinnsal vereinen. Meine Geburt wird begleitet durch einen sanften Sturz in die Tiefe, innerhalb von 20.000 Metern überwinde ich 800 Meter. Meine kleineren Schwestern Loisach, Amper, Würm und Moosach führen mir weitere nasse Verstärkung zu, aus kleinen Rinnsalen verwandle ich mich bei Schneeschmelze oder bei heftigem Regen blitzschnell in eine reißende Sause. Ja, ich bin ein Gebirgsfluss, eine Wilde, Ungezähmte, der man zeit- und streckenweise die Wildheit und erfrischende Klarheit geraubt hat.
Im Betonbett und Rohren floss und fließe ich in Abschnitten traurig dahin, man hatte mir meine mäandernden Ausläufer genommen, meine Seele kastriert und mich mit stinkendem Unrat verunreinigt. Aber auch in meinen schlimmsten Zeiten lehrte ich den Menschen Respekt,
verwandelte ich mich doch regelmäßig in eine zornige Brause, die über die Ufer trat und Leichtsinnige, Unvorsichtige in meinen Fluten mitriss, die darin ertranken. Auch heute verenden in meiner Strömung allem menschlichen Machwerk zum Trotz jedes Jahr etliche menschliche Wesen. Dann werde ich als böse und unberechenbar gescholten! Wer bitte nötigt Arroganzlinge oder Bierdimpfel dazu, in irgendwelche Schlauchboote zu steigen und zu meinen, sie könnten locker über meine Stromschnellen hinweggleiten? Nur deren Dummheit und Respektlosigkeit! Was bringt manche vorwitzige Zwergerl auf die Idee, in meine Wellen zu plumpsen? Die Unachtsamkeit ihrer Eltern!
Etliche gar schauen immer wieder staunend in meine nilgrünen Fluten, wenn ich in ruhigen Zeiten brav dahinplätschere und im Dialog mit Sonne, blauem Himmel, glitzernden Gipfeln und watteweißen Wolken ein Panorama von Alpenkaribik und bayerischem Himmel herbeizaubere. „Wie kann in so einem Flüsschen ein Erwachsener umkommen?“ fragen sie dann ungläubig. Tja, dann schaut mich mal an, wenn ich durch Hochwasser anschwelle – da steht ihr dann staunend auf dem Flaucher- oder Kabelsteg und seht dem Gebrause ungläubig hinterher. München liegt dann plötzlich am Orinoco und euer so kluges Geschwätz verstummt hinter nachdenklichem Staunen.
Über Äonen war alles gut, im strömenden Rhythmus suchte ich mir langsam beharrlich oder aufbrausend plötzlich meine Flussbette, die sich in weiten Bögen schlingernd mal mehr oder weniger breit von den Alpen durch und neben meine selbst gegrabene Schneise ergossen. Die Wenigen, die an meinen Ufern siedelten, wussten um meine Natur und nutzten sie umsichtig. Holzfäller, Flößer, Fischer, Wilderer, Müller, Kalkbrenner und Fährmänner fanden lange ihr Auskommen, heute sind es noch Angler, Flussmeister, Ruderer, Schwimmer und Surfer, die sich an meinen Wellen und ihren Geschöpfen erfreuen.
Die Flöße verschwanden, die Eisenrösser kamen, und der von Menschenhand gemachte Tand, die Technik, rückte immer mehr an meine Ufer vor und machte mir den Garaus.
Habe ich vielleicht die Zweibeiner zu sehr erschreckt? Haben sie mir nicht verziehen, dass ich mitunter wacklige Brücken zum Einsturz brachte? Oder haben sie sich einfach zu stark vermehrt? Irgendwann fingen sie an, unmittelbar an meinen Flussarmen zu bauen. Dabei wurde ich plötzlich ihr Feind! Oh heilige und entweihte Duna, ein neuer Berufsstand kam auf: die Ingenieure! Sie hatten die frevlerische Idee, mich in Korsette einzuzwängen, mich, die bis dahin frei Fließende! Waren bis dahin meine Wasser nur in ihre künstlichen Steintürme, die Städte, hinein abgezwackt worden, musste ich plötzlich in Flutmulden absacken, in Tunneln verschwinden, wurde ich in tote Kanäle gezwängt, mit Wehren aufgehalten, von Uferbefestigungen eingeschnürt, korsettiert, entwürdigt und verschmutzt mit Fäkalien, meine Fische starben dahin, mein spritzig leuchtendes Wasser verkümmerte zur faulenden
B r ü h e! Die Rache blieb nicht aus in Form von Seuchen, an denen Tausende starben. Aber der Zweibeiner brauchte nicht lang, um mit neuen „Lösungen“ aufzuwarten.
E l e k t r i z i t ä t war die neue Losung, der ich zum Opfer fiel. Nur um die Nacht zum Tage zu machen, dröhnende Fabrikhallen am Laufen zu halten, unnützen Schmarrn herzustellen, der dann an meinen Ufern vor sich hin rottet, verfielen sie auf die Idee, mich anzuzapfen und abzuwürgen, damit die monströsen Ungetüme von Maschinen in zahllosen Hallen Energie erzeugen konnten. Auf Kosten meiner überschäumenden Energie! Ich, die Isar, ein mächtiger Fluss, degradierte die meiste Zeit über zum erbärmlichen Rinnsal, zur austrocknenden Wasserrinne. Blieb nur der Ausgleich über den Wettergott, der mich seit Urzeiten mit Italien verbindet. Immer wenn über der Adria sich ein Luftgebilde nach unten verdichtet, einen tiefen Druck erzeugt und dieser gegen den Uhrzeigersinn nordostwärts über die Alpen tanzt und im Oberland Einzug hält .., ja, dann weiß ich, dass das meine Zeit ist, dass das Hochwasser nimmer weit ist und der fremd und feind gewordene Mensch für eine kurze Weile bereit ist einzusehen, dass Natur letztlich stärker als Technik ist!
Die Gscheidhaferl nehmen so viel in Kauf bei ihrem unermüdlichen Drang die Natur in Form zu zwingen: Lärm, Gestank, kranke, traurige, von Alkohol betäubte Seelen, fette und dürre Leiber, die sie unterm Flauchersteg so grillen und brutzeln wie ihre in garstige Nebelschwaden gehüllten Würste, bis manche dann durch den riesigen, selbst gebauten Umweg zur Einsicht kommen, dass es ihnen nur gut gehen kann, wenn ich wieder zum Leben erweckt werde, dass all ihr Leugnen nichts nützt vor der Tatsache, dass sie Teil der Natur sind und bleiben werden, spätestens dann, wenn ihre Leiber am Ende ihres Lebens sich auflösen zu Fett, Wasser, Knochen und Sehnen.
Bis dahin aber schwimmen und plantschen sie mit Wonne in meinen Wellen! Oder rasen auf Drahteseln an meinen Ufern und Abhängen entlang, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Als ob sie im Leben nicht genug Stress und Hektik hätten, imitieren sie diesen noch in ihrer Freizeit! Immerhin merken sie, dass meine munteren Fluten gegen ihre Kümmernisse mehr helfen als tote Tabletten. Zumal diese Kur an meiner Natur auch nichts kostet. Doch halt – inzwischen kostet es sie einiges, meine so genannte Re-Naturierung! Die eigentlich im Laut ihrer grässlichen Sprache eher heißen müsste Ent-Artifizierung. Denn mit großem Tamtam machen sie auf wenigen Kilometern das rückgängig, was sie selbst vor Jahren vermurkst haben, nennen es Zurück in die Zukunft, stellen riesige Tafeln auf, damit sie selbst darüber staunen können, was einst selbstverständlich war: meine in sanften Bögen sich verteilenden Flussarme.
Nur die bisweilen noch der Harmonie verbundenen feinfühligen Liebhaber der Natur, die Stein- Pyramidenbauer, Musikanten, Textschreiber und Maler, die haben mich schon immer besser verstanden und sogar für meine zweite Geburt gekämpft. Sie klappern mit meinen Steinen, durchstreifen liebevoll meine Auen und Abhänge, besingen mich mit ihren Stimmen, ihren Gitarren,
Trommeln, Flöten und Ukulelen und bezeugen das, was immer war und wahr sein wird: Ich singe in murmelndem Singsang mein flimmernd schimmernd, verführerisch gleißendes Isarlied!
1: Ys ist das keltische wort fuer schnell, reissend; 2 Ura bedeutet im Keltischen Wasser
Erinnerung / Reflexion
In Anlehnung an das Spiel Stadt-Land-Fluss: Welcher Fluss an welcher Stadt löst oder löste in Ihnen das Gefühl von Heimat, Geborgenheit, seelischem Ankommen aus? Welche Landschaften und Städte an Flüssen haben Sie auf Reisen begeistert?
„Im Fluss des Lebens sein“ – was verbinden Sie mit diesem Ausdruck? Wenn möglich, gehen Sie an einen Fluss in Ihrer Nähe oder legen eine CD mit fließendem Wassergeräusch ein. Betrachten Sie äußerlich oder innerlich die Fluten und verbinden Sie sich mit ihnen in Ihrer Vorstellung.
Was sind Ihre momentanen Lieblingsgewässer? Wie fühlen Sie sich, nachdem Sie sich dort aufgehalten haben?
Welches Flussbild und Fließstadium würde zu Ihrem augenblicklichen Leben passen? Sie können dabei die Augen schließen und ein passendes Fluss-Szenario erstehen lassen. Wie sehen Sie sich selbst in Beziehung zu diesem Fluss? Sind Sie in einem Boot, sitzen Sie am Ufer, stehen oder liegen Sie gar im Fluss? Welche Temperatur, welche Größe hat er? Wenn das Leben im Moment nicht so strömt, wie es Ihnen wirklich gefällt, wie würden Sie diesen Fluss und Ihren Bezugspunkt darin gerne verändern? Malen Sie sich eine optimale Situation für sich und Ihren Fluss für einen Zeitpunkt in der Zukunft aus.